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Geistlicher Impuls: Von der Kraft der Erinnerung

 

Da dieser Blogbeitrag immer wieder aufgerufen wird, haben wir uns entschlossen, ihn umzuschreiben - damit er mehr davon enthält, was die Überschrift verspricht und bestärken kann, Kraft aus der Erinnerung zu schöpfen. Der ursprüngliche Beitrag steht weiter unten.


Die Erinnerung ist voller Bedeutung für die Zukunft. Sie ist mehr als nur Erfahrung. Sie steckt voller Emotionen und hat die Kraft, mein ganzes Leben in bestimmte Bahnen zu lenken. Darum ist es so bedeutsam, gute Erinnerungen zu pflegen, zu teilen, vielleicht auch Traditionen entstehen zu lassen, damit die regelmäßige Rückkehr zum Guten gelingt, Mut zum Neuen macht, stärkt und zu einem bewusst bejahten Teil des eigenen Selbst wird, aus dem man immer neu schöpfen kann: Das ermutigende Lächeln der Eltern, wenn man als Kind den großen Felsen erklimmen will, die Freude über den gefangenen Ball oder den bunten Schmetterling, der sich auf der Hand niedergelassen hat, der Geburts- oder Namenstag, der Hochzeitstag...!

Im Judentum ist die Erinnerung an die Befreiung aus der ägyptischen Knechtschaft zur Tradition geworden: ein Hochfest der abfallenden Ketten, der besiegten Angst und des mutigen Neubeginns mit dem befreienden Gott an der Seite, im Christentum wird diese Erfahrung durch das Osterfest fortgeführt.

Erinnerung kann aber auch gefährlich sein: toxische Erinnerung, die die Kraft hat, das ganze Leben zu vergiften und in Angst festzuhalten. Oft treiben diese schlechten Erinnerungen ihr Unwesen im Unbewussten, kommen in den schwachen Momenten zum Vorschein und überfallen einen regelrecht oder halten in der Angst gefangen. Auch das ist eine Kraft. Wenn ich in schlechten Erinnerungen gefangen bin, fällt es oft sehr schwer, dieser Macht zu entkommen. Aber: Erinnerung kann heilen - der Schmerz kann gewandelt werden. 

Dazu braucht es Mut: Den Mut durch den "Tod" hindurchzugehen, der Auferstehung entgegen. Oftmals ist hier auch psychologische Hilfe angebracht. 

Eine erweiterte Entfaltung dieses Gedankens auf den christlichen Glauben hin: Die Erinnerung an die Kreuzigung und die vorausgehenden Qualen hätte Jesus lähmen und verzweifeln lassen können - so wie seine Jünger, die größtenteils das Weite suchten. Doch sein Vertrauen in Gott, seinen liebenden Vater, überwand alles und bereitete den Weg für die Auferstehung. 

Und so wurde die schmerzhafteste Erinnerung der Welt zur Hoffnung für die Menschheit: Leid, Hass, Verrät, alle Sünde der Welt, hat ein Ende. Überwunden durch die Kraft der Erinnerung an die Liebe. Liebe, erfahren durch die Menschen, die ihn umgaben, allen voran Maria, seine Mutter, und die stets wiederkehrende Erfahrung und Erinnerung an das liebende Handeln Gottes in Trost, Wundern, und einfach seiner Nähe.


Die schönste Erinnerung aller Zeiten kann für jemand anderes voller Schmerzen sein (z.B. der 18. Geburtstag). Doch für beide kann diese Erinnerung Quelle neuer Hoffnung werden: Hoffnung wie etwas gelingt, oder dass es dennoch weitergeht. Der erste geht sofort aus der Kraft der Erinnerung voran, der zweite wird jedoch weit stärkere Kraft aus dieser schmerzhaften Erinnerung schöpfen, wenn er diese Erinnerung liebevoll in sein Leben eingeordnet hat. 

Und so kann ich nur sagen: Pflegen Sie die Erinnerung, erzählen Sie von Ihren Erinnerungen und hören Sie die Erinnerung "der Alten" an: Alle Erinnerungen sind voller Leben und geben Kraft. Nutzen wir sie zum Guten!

Sr. Sandra Friedrich, April 2025




Ursprünglicher Beitrag, zur Kraft, die wir aus der Erinnerung an unseren Gründer schöpfen:


Meine Erinnerungen aus der Vergangenheit prägen meine Gegenwart und Zukunft. Jede Erinnerung hat einen Sinn. Sie kann auch dazu beitragen Wunden zu heilen. Schön ist, wenn Erinnerungen positiv sind. Ein Sprichwort sagt: Glück ist die Summe aller schönen Erinnerungen. So eine Erfahrung machte ich in den letzten Tagen, als ich zufällig einen Artikel über Astrid Lindgren zu ihrem zwanzigsten Todestag in die Hand bekam. Plötzlich wurden viele Kindheitserinnerungen in mir wach: an ihre Bücher und die Protogonisten, die von Freiheit und Erlösung erzählten. Da standen mir beide Brüder Löwenherz, Jonathan und Kalle, vor Augen, die viele Abenteuer in solidarischer Geschwisterlichkeit bestanden. Da erklang der Frühlingsschrei der Ronja Räubertochter in meinen Ohren, mit dem sie den Frühling ankündigte. Einfach herzerwärmende Erinnerungen. Nach Augustinus, dem abendländischen Kirchenvater, ist Erinnerung jedoch nicht nur Wiederabrufen des in der Vergangenheit Gelernten und Wahrgenommenen, sondern Begegnung mit dem in der Seele verborgenen Ort, an dem Gotteserfahrung geschieht.

 

Sowohl im Alten wie im Neuen Testament hat Erinnern eine zentrale Stellung. Der Glaube Israels lebt vom Gedächtnis der Heilstaten Gottes. Die Erinnerung daran, was Gott an seinem Volk getan hat, ist ein zentrales und notwendiges Element des Glaubens. Jesus knüpft an die große Gedächtnisfeier des Paschafestes an. Dabei stellt er das Gedenken seines Leidens und seiner Auferstehung in den Mittelpunkt der Glaubenspraxis (vgl. Reinhard Körner: Gedächtnis: Praktisches Lexikon der Spiritualität. Herder 1992, Sp. 454f) Im Erinnern geschieht Gottesbegegnung.

 

Eine wichtige Erfahrung des Erinnerns machen wir Schwestern, wenn wir in diesem Jahr des 95. Todestages unseres Ordensgründers, des Seligen Georg Matulaitis, gedenken. In ihm und seinem Denken liegen die Wurzeln unserer Kommunität, die Erinnerung an ihn und sein Denken stärkt unsere Identität und unseren Sendungsauftrag. Seine Biographie erinnert uns daran, dass eine feste Beziehung zu Jesus Christus das Leben richtig in Fahrt bring.

 

Georg Matulaitis wurde als das jüngste unter den acht Kindern in einer Bauernfamilie in Litauen, im Dorf Lugine in der Nähe der Stadt Marijampolė geboren. Mit zehn Jahren wurde er Vollwaise und erkrankte schwer an der Knochentuberkulose, an der er sein ganzes Leben gelitten hat. Dank seiner lebendigen Beziehung zu Gott und der wohlwollenden Menschen bekam sein Leben neuen Schwung. Als Priester und Bischof von Vilnius wirkte er in vielen Ländern: Litauen, Polen, Russland, Schweiz, Amerika und Rom. Ihn zeichnete seine leidenschaftliche Liebe zur Kirche, der Braut Christi aus. Sein Engagement galt den Menschen, Kindern und Erwachsenen, die aufgrund der finanziellen Nöte an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden. Gerade in einer Zeit, in der der Kirche durch Krisen die Glaubwürdigkeit abgesprochen wird, gehört Seliger Georg Matulaitis zu den Menschen, die den Glauben durch ihr Lebenszeugnis aufbauen. Das Erinnern an die Heiligen, wie Georg Matulaitis, ist eine verborgene Kraftquelle der Seele.

 

Sr. Margareta Fischer, veröffentlicht in der Frankenpost 24.02.2022